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Veganes Sozialrecht

Veganes Sozialrecht

Im Sozialrecht gibt es verschiedene Problemfelder für Veganer

Zum einen gibt es Fälle, in denen Hartz IV Empfängern der Tagessatz für Nahrung gestrichen wird, wenn sie entweder vom Arbeitgeber, oder im Krankenhaus eine Versorgung mit nicht veganen Produkten erhalten. Ein weiteres sozialrechtliches Problem ist die Frage, ob Krankenkassen die Kosten für einen Vitamin B 12 Test übernehmen müssen.

Kann der Regelbedarf für Essen gekürzt werden, wenn vegane ALG II-Empfänger vom Arbeitgeber oder vom Krankenhaus nicht veganes Essen angeboten bekommen?

Die normative Grundlage für die Kürzung findet sich in § 2 Abs.5 AGV
Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung – Alg II-V)§ 2 Berechnung des Einkommens aus nichtselbständiger Arbeit
(1) Bei der Berechnung des Einkommens aus nichtselbständiger Arbeit (§ 14 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch) ist von den Bruttoeinnahmen auszugehen.

(5) Bei der Berechnung des Einkommens ist der Wert der vom Arbeitgeber bereitgestellten Vollverpflegung mit täglich 1 Prozent des nach § 20 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch maßgebenden monatlichen Regelbedarfs anzusetzen. Wird Teilverpflegung bereitgestellt, entfallen auf das Frühstück ein Anteil von 20 Prozent und auf das Mittag- und Abendessen Anteile von je 40 Prozent des sich nach Satz 1 ergebenden Betrages.

Ein derartiger Fall wurde bereits vom Sozialgericht Berlin entschieden.

Im vorliegenden Fall wollte die Mitarbeiterin das Essen ihres Arbeitgebers (Fleischer) aus diätetischen Gründen nicht konsumieren. Das Jobcenter war der Auffassung, dass es hierauf nicht ankomme, da in der Verordnung auf das Bereitstellen des Essens, nicht aber auf die Entgegennahme des Essensangebotes, abgestellt werde. Das Job-Center zog der Betroffenen daher monatlich zwischen 30-50 Euro von ihrer Regelleistung ab.

Hiergegen erhob sie Klage und die 175. Kammer des Sozialgerichts Berlin gab ihr Recht. (. SG Berlin Az S 175 AS 15482/14 Urteil vom 23.03.2015)
In der Begründung führt es folgendes aus:

„Hiernach bedurfte es keiner weiteren Aufklärung, ob die Klägerin zu 1) die bereitgestellte Verpflegung in den streitigen Monaten tatsächlich zu sich genommen hat oder nicht. Unterstellt, die Klägerin zu 1) hat das Essen nicht verspeist, spräche dies gleichfalls dafür, die Vorschrift des § 2 Abs. 5 Alg II-V nicht anzuwenden. Zwar streitet für das Normverständnis des Beklagten, dass es allein auf die Zurverfügungstellung, nicht aber auf den tatsächlichen Verzehr ankommen müsse, der Wortlaut der Vorschrift („bereitgestellten“), jedoch dürfte die Norm aus den Gründen des Selbstbestimmungsrechts der Leistungsberechtigten einschränkend dahin auszulegen sein, dass ein tatsächlicher Verzehr erfolgen muss (siehe mit anderer rechtlicher Begründung: Geiger in: Münder, SGB II, 5. Aufl. 2013, § 11 Rdn. 50).

Letztlich führt § 2 Abs. 5 Alg II-V anderenfalls dazu, dem einzelnen Leistungsberechtigten zu einer bestimmten Ernährung anzuhalten, da er durch die mit der Einkommensanrechnung verbundenen Leistungskürzung eine eigene Entscheidung über seine Verpflegung während der Arbeitszeit nur unter Einsatz zusätzlicher finanzieller Aufwendungen treffen und umsetzen kann, obgleich ihm der Verordnungsgeber diese Mittel über die Einkommensanrechnung „vorenthalten“ hat.

Handlungsfreiheit des Leistungsberechtigten

Dies greift jedenfalls in die allgemeine Handlungsfreiheit des Leistungsberechtigten ein und läuft zudem dem Konzept zuwider, dem Leistungsberechtigten eine eigenständige Entscheidung über die „Bewirtschaftung“ der gewährten Leistungen zu ermöglichen (§ 20 Abs. 1 S. 4 SGB II). Besonders bedenklich wäre § 2 Abs. 5 Alg II-V in den Fällen, in denen z.B. religiöse Speisevorschriften dem Leistungsberechtigten eine bestimmte Ernährung gebieten. Die insoweit in Betracht kommenden Beispiele sind zahlreich und reichen von Religionen wie dem Judentum und dem Islam, welche den Verzehr bestimmter Fleischsorten untersagen bzw. bestimmte Anforderungen an Schlachtung oder Zubereitung des Fleisches stellen, bis hin zu Glaubensgemeinschaften, welche z.B. eine vegetarische Ernährung verlangen.

Ethisch-moralische Veganer und Vegetarier

Zudem gibt es – wie gerichtsbekannt ist – eine steigende Zahl von Menschen, die sich aus primär ethisch-moralischen Gründen für eine etwa vegetarische oder vegane Ernährung entschieden haben. Auch die Klägerin zu 1), die sich aus einsichtigen gesundheitlichen Gründen für eine bestimmte Ernährung entschieden hat, ist leistungsrechtlich mit ihrer Entscheidung zu respektieren.

Ein Normverständnis, dass es allein auf die Bereitstellung der Verpflegung ankommt, würde diese Personen leistungsrechtlich in ihrer grundrechtlich geschützten Entscheidung beeinträchtigen. Zwar verkennt die Kammer nicht, dass eine derartige Auslegung der Regelung zu einem nicht unerheblichen Ermittlungsaufwand der Leistungsträger, welche den tatsächlichen Verzehr im Bestreitensfall auch unter Beweis zu stellen hätten, führen würde, jedoch belegt dies letztlich wiederum die Unwirksamkeit der Norm, da es so letztlich zu einer individuellen Bedarfsbestimmung kommen müsste, die die SGB II dem Grunde nach fremd ist. Nach alledem wäre § 2 Abs. 5 Alg II-V – seine Wirksamkeit einmal unterstellt – dahin auszulegen, dass ein tatsächlicher Verzehr erforderlich ist.“

Geschütztes Selbstbestimmungsrecht

Die Entscheidung ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Das Gericht spricht ethischen Veganern und Vegetariern ein grundrechtlich geschütztes Selbstbestimmungsrecht im Hinblick auf ethisches Essen zu, in welches der Staat im vorliegenden Fall nicht eingreifen darf.
Selbstverständlich gelten diese Grundsätze auch in den Fällen, in denen ALG II-Empfänger eine Kürzung zugemutet wird, weil sie im Krankenhaus ein nicht veganes Angebot erhalten, welches sie als Veganer nicht nutzen können.

Müssen Krankenkassen die Kosten für einen Vitamin B12 Test übernehmen.

Diese Rechtsfrage wird im Zweifel von einem medizinischen Sachverständigengutachten beantwortet. Rechtlich kommt es darauf an, ob es eine medizinische Indikation bei den Patienten gibt, um einen einfachen oder besonderen Vitamin B 12Test durchzuführen.

Probleme gibt es in der Praxis häufig bei dem besonderen Vitamin B12 Test. Hier genügt es nicht, wenn der Patient lediglich Veganer ist, um von der medizinischen Indikation des Testes auszugehen. Etwas anderes gilt, wenn der Patient typische Symptome von Vitamin B12 Mangel berichtet. In derartigen Fällen ist von einer medizinischen Indikation auszugehen.

Es bleibt zu hoffen, dass zukünftig Musterfälle entschieden werden, die die medizinische Indikation für diesen Test rechtssicher klären.

Zusammenfassung

Im Sozialrecht ist der ethische Veganismus als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in einer bemerkenswerten Entscheidung des Sozialgerichts Berlin anerkannt worden. Die Situation von Veganern ist allerdings verbesserungsbedürftig, was die über Kostenübernahme von Vitamin B12 Tests anbelangt. Weiteres Verbesserungspotenzial ist bei der Gestaltung der Regelsätze für ALG II-empfänger gegeben die bislang noch keine eigene Kategorie für ethischen Konsum vorsieht.
Die sozialrechtlichen Sonderfälle Krankenhaus- und Plegeheimernährung sind in einem gesonderten Beitrag abgehandelt